Warum haben Eltern Angst vor dem Loslassen?
Glaubt man Psychologen, liegt das Klammern in der Natur des Menschen: Das Festhalten an vertrauten Menschen, Situationen und Umgebungen ist ein Grundbedürfnis, mit dem wir uns schützen. Gleichzeitig ist das Loslassen ein natürlicher Prozess, ohne den Kinder nie ein eigenständiges Leben führen könnten. Nach der ersten, intensiven Zeit haben sich viele Eltern an das Gefühl gewöhnt, rund um die Uhr gebraucht zu werden und finden darin vielleicht auch eine gewisse Befriedigung. Zugleich geht das Loslassen auch immer mit einem Kontrollverlust einher. Mehr und mehr entzieht sich das Leben des Kindes dem elterlichen Einfluss. Dafür knüpft es neue soziale Kontakte und wird immer selbstständiger.
Loslassen Schritt für Schritt
Säugling: Streng genommen ist schon die Geburt ein erstes Loslassen für die Mutter – und so ist es für viele Mütter undenkbar, sich in den ersten Monaten auch nur für kurze Zeit von ihrem Baby zu trennen. Das ist nur natürlich, schließlich ist das Neugeborene absolut abhängig von der Fürsorge seiner Eltern. Babys haben mit einer Trennung in dieser ersten Zeit weniger Probleme – sie beginnen erst später, die Eltern als Bezugspersonen wahrzunehmen.
Baby: Viele Mütter erleben das Abstillen ihres Kindes mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Man ist endlich wieder freier, zugleich fühlt es sich an, als würde eine intensive Bindung mit dem Kind verloren gehen. Auch die Kinder selbst haben mitunter ihre Probleme damit. Nehmt euch Zeit für diese erste „Trennung“ und macht euch bewusst, dass diese eine wichtige Voraussetzung für die Selbstständigkeit eures Kindes ist.
Krippe: Fast alle Kleinkinder brauchen etwas Zeit, um sich an die fremde Umgebung in der Krippe oder bei der Tagesmutter zu gewöhnen, und auch den Eltern fällt es schwer, ihre Kinder für längere Zeit an fremde Menschen abzugeben. Wichtig ist, dass ihr eine Betreuungseinrichtung findet, der ihr absolut vertraut – so bleibt trotz anfänglichem Trennungsschmerz ein gutes Gefühl. Zudem könnt ihr euch und euer Kind schon im Babyalter an den Umgang mit neuen Situationen gewöhnen, indem ihr zum Beispiel Freunde besucht, in die Krabbelgruppe geht oder bei den Großeltern übernachtet.
Kindergarten: Wenn euer Kind schon in die Krippe gegangen ist, stellt der Übergang zum Kindergarten meist kein großes Problem dar. Und doch ist es gefühlt etwas ganz anderes, auf einmal ein „Kindergartenkind“ zu haben. Viele Kinder beginnen sich im Kindergartenalter nachmittags mit Freunden zum Spielen zu treffen: Nach und nach wird das soziale Umfeld eures Kindes größer und die Zeit, die ihr gemeinsam verbringt, nimmt ab.
Grundschule: Die Einschulung ist ein Meilenstein, dem viele Eltern mit gemischten Gefühlen entgegensehen: Zum Stolz über das größer werdende Kind kommen die Zweifel, wie es mit den Leistungsanforderungen der Schule und im Klassenverband zurechtkommt. Meist ist ein Mittelweg genau richtig: Vertraut auf die Fähigkeiten eures Kindes und auf die der Grundschullehrer und verfolgt zugleich aufmerksam und voller Anteilnahme die Entwicklung eures Kindes – so könnt ihr da sein, wenn ihr gebraucht werdet.
Pubertät: Der Prozess des Abnabelns ist in der Pubertät besonders ausgeprägt: Kinder fordern jetzt aktiv ihren Freiraum. Vielen ist es wichtig, sich von ihren Eltern abzugrenzen und vertreten vehement ihre eigene Meinung. Eltern müssen jetzt eine wahre Gratwanderung schaffen – eine gesunde Mischung aus Verständnis und Konsequenz, gepaart mit der Fähigkeit, ein Kind seine eigenen Fehler und Erfahrungen machen zu lassen.
Checkliste:
So können Eltern und Kinder das Loslassen lernen
Vertrauen: Ihr solltet auf die Fähigkeiten eures Kindes, Herausforderungen selbst zu lösen, vertrauen.
Verlässlichkeit: Macht eurem Kind bewusst, dass ihr immer da seid, wenn es Probleme gibt.
Zurückhaltung: Beobachtet aufmerksam, wie sich euer Kind in Krippe, Kindergarten oder Schule entwickelt, aber respektiert auch die Arbeit der Erzieher.
Reflektieren: Denkt an eure eigene Kindheit und eure Wünsche und Ängste in Trennungssituationen – vielleicht ist euer Kind euch ganz ähnlich.
Konsequenz: Auch wenn es manchmal schmerzt, jedes gesunde Kind muss Selbstständigkeit lernen.