Digitale Medien für Schule und Lernen
Ohne digitale Medien ist Unterricht in Zeiten von Schulschließungen nicht möglich. Doch wie wir inzwischen wissen: Die Erfahrungen mit digitalen Lern- und Lehrmethoden sind begrenzt, die praktische Umsetzung nicht immer zufriedenstellend, unsere Skepsis als Eltern teilweise groß. Was können wir daraus lernen und für die Zukunft mitnehmen?
Digitale Medien sind Freund, nicht (nur) Feind
Digitale Medien können Lehrer nicht ersetzen, aber sehr gut unterstützen. Und sie können auch in Zeiten von Kontaktbeschränkungen etwas bieten, das ganz wesentlich für positive Lernerfahrungen ist: gute Kommunikation und viele neue Möglichkeiten und Impulse für selbständiges Lernen.
Aktivität und Ausgleich schaffen
Viel wertvoller als möglichst alle Lernmaterialien abzuarbeiten, ist es, das Erarbeitete langfristig zu verankern. Dafür ist es wichtig, Kinder abseits des Bildschirms aktiv werden zu lassen. Was kann euer Kind über die letzte Geschichte in der Lese-App erzählen, welches Bild malt es zum Thema Säugetiere oder welche Grimasse verbindet es mit der neuen Bruchrechnung? Und am aller wichtigsten: Kinder brauchen mindestens genauso viel Bewegung wie Bildschirmzeit – am besten im Freien.
Weniger ist mehr
Da eine E-Mail, dort eine App, hier noch etwas zum Ausdrucken und dann noch ein Zugang zum Server mit weiteren Materialien. Zu viele Quellen und Medien überschreiten unsere Kapazitäten als Eltern und die Aufnahmefähigkeit der Schüler. Was allen hilft, den Überblick zu bewahren, sind einfache Prozesse mit wenigen Kommunikationswegen. So können wir uns besser auf das Wesentliche konzentrieren: das Lernen.
Medienkonsum in der Freizeit
Jeder neue Lockdown ist für Familien gleichbedeutend mit einem Ausnahmezustand. Als Hilfe gegen Lagerkoller und Eintönigkeit ist uns da manchmal jedes Mittel recht – auch zusätzliche Zeit vor Fernseher, Tablet und Computer. Dazu kommen digitales Homeoffice und Homeschooling. Wie soll der Medienkonsum unserer Kinder zukünftig aussehen und wie können wir als Familie langfristig zu einem gesunden, verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien finden?
Begrenzte Bildschirmzeiten
Digitale Medien sind Teil unserer Realität und noch ein größerer Teil des neuen Alltags mit Corona. Trotzdem bedeuten Medienkonsum und Bildschirmzeit auch eine Belastung für unser Gehirn und erst recht für das kindliche. Klar festgelegte Zeiten für Handy, Tablet und Co. geben Struktur und sorgen dafür, dass auch mal Pause ist.
Aktivität und Ausgleich schaffen
Noch wichtiger als die exakte Minutenanzahl, die Kinder mit digitalen Medien verbringen, ist, wie sie den Rest ihrer Zeit gestalten. Als Ausgleich zu Handy, Videospielen und TV-Serien brauchen Kinder haptische Erfahrung, Bewegung und echte Aktivität – am besten im Freien.
Kinder wachsen an Verantwortung
Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser – und sorgt dafür, dass unsere Kinder lernen, selbst Verantwortung zu übernehmen. Indem wir Abmachungen gemeinsam mit unseren Kindern treffen, sie einbinden und mitentscheiden lassen, helfen wir ihnen, schon früh einen bewussten Blick auf die digitale Welt zu entwickeln.
Die gute Nachricht ist: So schlimm ist es alles auch wieder nicht. Denn wie uns Corona gerade lehrt – wir müssen (und können) vielleicht nicht ganz zurück zur gewohnten Normalität, aber wir gestalten gerade eine neue. Und die hält viele wertvolle Chancen bereit.
Nachgefragt bei Kerstin Boveland
Wie haben Sie als Lehrerin während der Schulschließungen digitale Medien für den Unterricht genützt?
Um mit unseren Schülern in Kontakt zu bleiben, haben wir uns für ein Kommunikationsmedium entschieden, das eine möglichst barrierefreie Kommunikation bietet, auch über das Handy. Denn einige Schüler haben zu Hause zwar keinen Computer zur Verfügung, aber alle haben ein Handy. Dieser Messenger-Dienst war datenschutzkonform und bot die Möglichkeit, Dateien in unterschiedlichen Formaten, Fotos, Sprach- und Videoaufnahmen zu verschicken. Damit hatten wir alles, was für gute Kommunikation nötig war. Ich habe meinen Schülern als Klasse aber auch einzeln Aufgaben gestellt, sie haben mir Screenshots, Fotos Ihrer Hefte und sogar Sprachnachrichten geschickt, was für den Sprachunterricht extrem wertvoll war. Auf diese Weise konnte ich sehr gut einschätzen, was jeder Einzelne braucht und welche Fortschritte meine Schüler machen. Individuelles Feedback war dabei ganz wesentlich für den Lernerfolg.
Wie kann Ihrer Meinung nach digitales Lernen gelingen?
Bei jeder Art von Lernen gilt: Das Passive muss aktiv werden. Das Gehirn verkümmert beim stumpfen Abarbeiten vor dem Bildschirm. Es darf also nie um bloßes Eintrichtern gehen, sondern wir müssen als Lehrer Aufgaben stellen, die Kinder aktivieren. Sie können etwas lesen, sehen oder hören. Aber dann müssen sie aktiv werden und etwas damit tun: Ein Bild dazu malen, eine Geschichte nacherzählen, ein Gefühl beschreiben. Nur durch diese Verknüpfung mit echten Erfahrungen kann Lernen stattfinden. Auch zu Hause ist es wichtig, Ausgleich zu schaffen. Kinder können Zeit bekommen, um ihr Videospiel zu spielen oder fernzusehen. Aber es muss auch Zeiten geben, in denen sie sich in der Natur bewegen, ein Buch lesen, zeichnen, basteln oder spielen.
Welche positiven Aspekte können Sie aus den vergangenen Monaten für die Zukunft mitnehmen?
Wir werden die neu gewonnenen Kontaktmöglichkeiten auch in Zukunft nützen können. Und als Lehrerin habe ich gelernt, dass wir Schule komplett neu denken müssen. Denn wie sich gezeigt hat, konnten vor allem ältere Schüler durch das selbstständige Lernen zum Teil viel bessere Erfolge erzielen. Das war erstaunlich und zeigt: Wir müssen unser System auflockern und den Schülern mehr Möglichkeit geben, selbstständig und phasenweise vielleicht sogar räumlich unabhängig zu lernen. So bleibt auch mehr Zeit für jene Schüler, die mehr Unterstützung benötigen.
Kerstin Boveland ist Lehrerin für Englisch und Französisch an einer Stadtteilschule in Hamburg. Als Spezialistin für Digitales Lernen entwickelt sie fachspezifische Unterrichtsbausteine für das Hamburger Digital Learning Lab.
Nachgefragt bei Christian Dederer
Welche Chancen bringt die Krise Ihrer Meinung nach für digitale Bildung?
Was viele Medienpädagogen seit langer Zeit sagen, wurde jetzt für die gesamte Bevölkerung ersichtlich: Wir brauchen für alle Schulen angemessene Infrastruktur, Fahrpläne und Konzepte für digitale Bildung. Digitale Medien sind ein Teil unserer Realität. Und ich denke, dass es in Zukunft sogar ein entscheidendes Kriterium bei der Schulwahl sein wird, ob eine Schule ein gutes medienpädagogisches Konzept hat und auf alle Situationen vorbereitet ist, um gute Bildung sicherzustellen, oder nicht.
Wie klappt ein guter Umgang mit digitalen Medien?
Die Medienpädagogik gibt hier klare Vorgaben und die gelten natürlich weiterhin: Begrenzte Bildschirmzeiten, Kontrolle über die Inhalte und Webseiten, die Kinder nützen, und natürlich ausreichend Ausgleich und Bewegung. Vor allem im Grundschulalter sollten Kinder digitale Arbeitsmittel nicht unbeaufsichtigt im Kinderzimmer zur Verfügung haben – Eltern sollten immer wissen, was ihre Kinder im Netz tun. Gleichzeitig ist es wichtig, ihnen Verantwortung zu geben, sie zu befähigen, einen nachhaltig guten Umgang mit digitalen Inhalten zu entwickeln.
Was raten Sie Eltern zum Umgang mit digitalen Medien fürs Homeschooling?
Vor allem: Keine Panik! Schulische Bildung ist nur ein Teil der Kompetenzen, die Kinder lernen, und digitale Inhalte sind wiederum nur ein Teil davon. Wir geben ihnen als Eltern so viel mehr mit im gemeinsamen Zusammenleben. Mein Rat in Bezug auf digitale Medien ist immer: Lasst die Kinder nicht allein, begleitet sie, sprecht mit ihnen. Aber kontrolliert sie nicht bei jedem Schritt, damit sie auch in der Lage sind, selbst einen verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien zu erlernen. Gebt den Kindern Verantwortung – nicht nur in Bezug auf Medienkonsum, sondern ganz generell. Denn daran wachsen sie.
Hans-Christian Dederer ist studierter Grundschullehrer, Medienbildungsreferent und Gründer des Vereins zur Förderung pädagogischer Mediennutzung (VFpM e.V.).